Partizipation – Was können Sie persönlich für sich tun?

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Was ist eigentlich Partizipation?

Partizipation im Arbeitskontext bedeutet, dass die Meinung von Mitarbeitenden bei Entscheidungen gehört und ernst genommen wird. Meistens sind alle Mitarbeitenden von wichtigen Entscheidungen in einer Organisation betroffen. Daher soll Ihnen die Möglichkeit gegeben werden, Ihre eigene Sicht der Dinge darzustellen und Einfluss auf den Entscheidungsprozess zu nehmen [15]. Partizipation bedeutet für die Mitarbeitenden also in erste Linie eine aktive Rolle bei der Entscheidungsfindung einzunehmen und neben der eigenen Meinung auch konkrete Vorschläge und Ideen einzubringen, die von den Vorgesetzten oder der Organisationsführung berücksichtigt werden [12].
Es gibt viele mögliche Strategien um die Partizipation zu steigern. Bevor diese Strategien vorgestellt werden, wird zunächst aufgezeigt, warum dieses Thema für die eigene Zufriedenheit und Produktivität so wichtig ist und welche Formen der Partizipation unterschieden werden können.

Warum ist Partizipation wichtig?

Abbildung 1. Die Wirkung von Partizipation.

Veränderungen in unserem Alltag sind allgegenwärtig, davon ist auch das Arbeitsleben nicht ausgenommen. Es entsteht ein sogenannter Veränderungsdruck, weil sich sowohl die Organisation als auch die Mitarbeitenden an die veränderten Bedingungen anpassen müssen [4]. Um eben diese Veränderungen so mitzugestalten, dass wir gut mit ihnen zurecht kommen und im besten Fall von ihnen profitieren, ist es wichtig an ihnen teilzuhaben. Diese Teilhabe sorgt nachweislich dafür, dass wir zufriedener und sogar produktiver sind [12]. Zudem wirkt sich Partizipation positiv darauf aus, als wie fair wir die Prozesse in einer Organisation wahrnehmen. Jede Organisation hat ein bestimmtes Ziel und die Prozesse sind darauf ausgerichtet, dieses Ziel zu erreichen. Ein Maß dafür, wie gerecht diese Prozesse zur Zielerreichung wahrgenommen werden, nennt sich in der Psychologie "prozedurale Gerechtigkeit". Ein hohes Maß an Partizipation führt dazu, dass wir die Prozesse in der Organisation als fair und gerecht wahrnehmen [2]. Eng mit Partizipation und prozeduraler Gerechtigkeit ist der Begriff "Voice" (auf Deutsch: Stimme) verbunden. Eine "Stimme" zu haben bedeutet in diesem Kontext seine eigene Meinung bei Entscheidungsprozessen zum Ausdruck bringen zu dürfen [5]. Diese Freiheit und Förderung der Meinungsäußerung als Teil der Partizipation wirkt sich wiederum positiv auf die wahrgenommene Fairness und somit prozedurale Gerechtigkeit aus [11]. Verschiedene Studien haben darüber hinaus gezeigt, dass Partizipation besonders in Teams wichtig ist und dadurch mehr Verbesserungsvorschläge gemacht und Netzwerke geknüpft werden [17]. Außerdem fördert Partizipation ...

  • die Zusammenarbeit,
  • hilft den Führungskräften besser auf individuelle Bedürfnisse und Stärken einzugehen und
  • führt so zu mehr Motivation und Engagement bei den Mitarbeitern [9].


Fallbeispiel aus dem Handwerk

Beispielsweise üben die Digitalisierung und die Industrie 4.0 als allgemeine Megatrends auch Veränderungsdruck im Handwerk aus. Neue Technologien sollen auch dort für mehr Transparenz, Effizienz und Kostenersparnisse sorgen. Das heißt Unternehmen im Handwerk müssen sich an die gegebenen Veränderungen anpassen, um erfolgreich zu bleiben. Zum Beispiel sollen neue Systeme den Lagerbestand just-in-time verwalten oder Nachbestellungen bei Bedarf automatisch tätigen. Kunden/innen sollen durch Digitalisierung die Möglichkeit haben, sich in Echtzeit über ihren Auftragsstatus zu informieren [10]. Die Digitalisierung in einem Handwerksbetrieb bedeutet eine große Veränderung, bei der die Mitarbeitenden teilhaben möchten. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Stärken der Mitarbeitenden gut genutzt werden und jeder motiviert ist sich mit neuen Aufgabenfeldern zu beschäftigen und gegebenenfalls fortzubilden. Daher profitieren alle davon, wenn möglichst viele Mitarbeitende sich einbringen und Ideen für eine mögliche Organisation und gegebenenfalls neue Struktur vorschlagen. Jede/r sollte offen darüber sprechen, auf welche Aufgaben er/sie mehr oder weniger Lust hat, wie mögliche Vertretungsregelungen aussehen könnten oder in welchen Aufgabenbereichen er/sie sich gerne mal ausprobieren würde [17].

Welche Formen der Partizipation gibt es?

Individueller Ermessensspielraum (Individual Task Discretion)

Eine andere Form der Partizipation ist der eigene Ermessensspielraum, den wir bei unserer jeweiligen Arbeit haben. Das heißt, das Ausmaß an selbstständigen Entscheidungen, die wir in unserem Arbeitsalltag treffen können, und der Grad an Autonomie [6]. Häufig liegt es nicht in unserer Hand zu bestimmen, wie viel Ermessensspielraum wir haben. Aber wir können beeinflussen, wie sehr wir den uns gegebenen Spielraum für uns und die Organisation positiv nutzen und wie selbstständig wir arbeiten. Dabei ist es wichtig Verantwortung zu übernehmen und Initiative zu zeigen. Diese Art von Partizipation wirkt sich sehr positiv auf unsere Arbeitszufriedenheit, sowie unsere psychische und körperliche Gesundheit aus [6,7].
Tipp: Übernehmen Sie Verantwortung, arbeiten Sie selbstständig und zeigen Sie Initiative!

Semi-autonomes Teamwork (Semi-autonomous Teamwork)

Semi-autonomes oder auch halbautonomes Teamwork bezieht sich auf Arbeitsgruppen, die viel Entscheidungsspielraum haben und sehr eigenständig arbeiten. Semi-autonom deshalb, weil sie nicht komplett unabhängig sind und immer noch einer oder mehrerer Führungskräfte unterstehen, aber trotzdem größtenteils unabhängig sind [6].

Beratende Partizipation (Consultative Participation)

Beratende Partizipation kommt dann zum Tragen, wenn Mitarbeitende durch Meetings, spezielle Teams zur Problemlösung oder Qualitätszirkel einen direkteren Draht zum Management haben und so mehr Einfluss auf organisationale Prozesse nehmen. Sie werden mehr in das Geschehen in der Organisation einbezogen und nehmen dadurch neben der Rolle als Mitarbeitende auch eine Rolle als Berater/innen ein [6].
Tipp: Beispielsweise Meetings oder Teamtreffen sind daher eine gute Gelegenheit um zu partizipieren, sich einzubringen und den eigenen Standpunkt näher zu erläutern.

Prozedurale Gerechtigkeit (Procedural Justice)

Wie oben bereits beschrieben bezeichnet prozedurale Gerechtigkeit die subjektiv empfundene Fairness der Prozesse in einer Organisation [2]. Damit Mitarbeitende diese als fair empfinden, müssen sie gehört werden - sie müssen eine Stimme haben. Die englische Übersetzung "Voice" beschreibt in der (Arbeits-) Psychologie dieses Phänomen des Sich-Äußerns und Gehört-Werdens [5]. Neben der Möglichkeit die eigenen Argumente und Standpunkte den Entscheidungsträgern zu präsentieren gibt es noch weitere Kriterien für faire Prozesse und prozedurale Gerechtigkeit. Dazu gehören unter anderem die Unvoreingenommenheit der Entscheidungsträger, die Repräsentativität, das heißt die Meinungen und Bedürfnisse aller betroffenen Parteien werden berücksichtigt, und konsistente Entscheidungen über die Zeit und unabhängig von den verschiedenen Personen [14].

Wie können Sie mehr partizipieren?

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten im Arbeitsalltag mehr zu partizipieren. Nicht immer ist es umsetzbar alle Möglichkeiten zur Partizipation vollkommen auszuschöpfen, da diese zum Teil auch von unserem spezifischen Arbeitsplatz und Arbeitgeber abhängen. Jedoch gilt es die uns gegebenen Möglichkeiten zur Partizipation und Teilhabe zu erkennen und so gewinnbringend und zufriedenstellend wie möglich für uns zu nutzen.

Welche Formen der Partizipation gibt es?

Bevor wir uns konkrete Maßnahmen anschauen, ist es wichtig unterschiedliche Formen der Partizipation zu unterscheiden. Es wird zwischen einer direkten und einer indirekten Form von Partizipation unterschieden. Direkte Partizipation bezieht sich auf die unmittelbare Einflussnahme auf Entscheidungen, das heißt der Einzelne wird ohne Umwege bei der Entscheidungsfindung einbezogen. Dahingegen wird bei der indirekten Partizipation lediglich über Repräsentanten Einfluss genommen [6]. Beispielsweise wird hierbei eine Teamleiterin oder ein Teamleiter gewählt, der dann bei wichtigen Entscheidungen einbezogen wird, während die einzelnen Mitarbeitenden keine Mitsprache mehr haben und nur über ihren gewählten Repräsentanten/innen (den Teamleiter/die Teamleiterin) Einfluss nehmen. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf Formen der direkten Partizipation.

Geteilte Führung (Shared Leadership)

Abbildung 2. SPLIT Aspekte geteilter Führung in Anlehung an [8]
Unter geteilter Führung versteht man einen Prozess, in dem sich die Personen in einer Gruppe untereinander beeinflussen und sich gegenseitig führen. Dadurch sollen Gruppen- und Organisationsziele auch unter herausfordernden Bedingungen erreicht werden [13]. Mitarbeitende können so ihre Arbeitsumgebung besser mitgestalten, mehr Verantwortung übernehmen und insbesondere persönliche Stärken gezielter einsetzen. Dafür ist es wichtig sich untereinander regelmäßig auszutauschen [16]. Es gibt verschiedene Messinstrumente um festzustellen, ob und wie sehr geteilte Führung in Teams bereits existiert. Ein Beispiel ist der "Shared Professional Leadership Inventory for Teams" (SPLIT), der den Grad an geteilter Führung in Teams mit vier Bereichen erfasst: Aufgabenmanagement, Beziehungsmanagement, Veränderungsmanagement und mikropolitisches Management [8,9]. Aufbauend auf Ergebnissen eines solchen Instruments können Team entscheiden in welchen Bereichen Sie partizipativer arbeiten möchten.

Wenn Sie mehr über geteilte Führung und den SPLIT erfahren möchten, klicken Sie auf folgendes Handout. Tipps für die Umsetzung der einzelnen Elemente finden Sie auch noch einmal weiter unten im Abschnitt SPLIT.

SPLIT

Der "Shared Professional Leadership Inventory for Teams" (SPLIT) baut wie oben erläutert auf dem Prinzip der geteilten Führung auf und beschäftigt sich daher mit Bereichen, in denen Partizipation und Teilhabe möglich und erwünscht sind [8,9]. Schauen Sie sich dazu noch einmal genauer das obige Handout an, in dem unter anderem auch folgenden Tipps enthalten sind:

  • Sprechen Sie Erwartungen, Probleme und Wünsche offen an.
  • Geizen Sie nicht mit Lob, wenn eine Aufgabe besonders gut gelungen ist. Achten Sie zudem auf einen respektvollen Umgang, gehen sie offen mit Kritik um und seien Sie authentisch, verlässlich und gerecht.
  • Sein Sie kreativ und unterstützen Sie Teammitglieder bei der Umsetzung von Ideen. Und denken Sie daran, dass Veränderung zum (Arbeits-) Alltag dazu gehört.
  • Nutzen Sie Ihr Netzwerk und wenden Sie sich an Experten/innen bei spezifischen Fragestellungen.

Circle of Influence

Abbildung 3. Circle of Influence in Anlehnung an [3]

Circle of Influence bedeutet auf Deutsch: Kreis des Einflusses oder Kreis des Beeinflussbaren. Es geht um das Prinzip, dass zu beeinflussen, was wir ändern können und mehr Kapazitäten und Gedanken darauf zu verwenden als auf das, worauf wir keinen Einfluss haben. Bestimmt kennen Sie die Situation, wenn man sich in Gedanken immer wieder im Kreis um ein Problem oder eine Sache dreht, auf die man selber gar keinen Einfluss hat. Diese Gedanken gehören zum Circle of Concern (auf Deutsch: Kreis der Besorgnis). Dieser umfasst alle Gedanken, die uns beschäftigen. Jedoch können wir meistens nur auf einen Teil dieser Themen Einfluss nehmen, und diesen Teil gilt es zu maximieren. So haben wir mehr Kapazitäten und mehr Energie, um uns auf die Aufgaben zu konzentrieren, die wir auch wirklich beeinflussen können und beschäftigen und gleichzeitig weniger mit Themen, über die wir uns immer wieder Gedanken machen, aber sowieso nicht weiter kommen [3].

Priorisieren

Um unseren persönlichen Circle of Influence so groß wie möglich werden zu lassen, ist es wichtig zu priorisieren. Wir müssen uns darauf konzentrieren, was wirklich wichtig für uns ist und worauf wir unsere Energie verwenden möchten. Unsere Kapazitäten sind - zeitlich, gedanklich, finanziell - begrenzt, weshalb es von Zeit zu Zeit wichtig ist uns darüber klar zu werden, welche Themenbereiche wir als besonders wichtig für uns erachten, und welche Aufgaben weniger dringlich sind. Das kann sowohl im Privatleben als auch im Berufsleben hilfreich sein.

Arbeitsblätter

Im Folgenden finden Sie Übungen um zu reflektieren, wie viel sie auf Arbeit bereits an Entscheidungen teilhaben und wo Sie eventuell noch aktiver partizipieren könnten.
Das erste Arbeitsblatt beschäftigt sich damit, wie Sie die aktuelle Situation wahrnehmen und was Sie gerne daran ändern oder sich wünschen würden. Das zweite Arbeitsblatt beschäftigt sich damit, was Sie gegebenenfalls ändern könne, um an den Stellen mehr teilzuhaben, an denen Sie es sich wünschen.

































Literatur

[1] Brown, S. P. (1996). A meta-analysis and review of organizational research on job involvement. Psychological bulletin, 120(2), 235.

[2] Cohen-Charash, Y., & Spector, P. E. (2001). The role of justice in organizations: A meta-analysis. Organizational behavior and human decision processes, 86(2), 278-321.

[3] Covey, S. R. (2006). Die sieben Wege zur Effektivität. In Das Summa Summarum des Erfolgs (pp. 363-379). Gabler.

[4] Cummings, T. G., & Worley, C. G. (2014). Organization development and change. Cengage learning.

[5] Folger, R. (1977). Distributive and procedural justice: Combined impact of voice and improvement on experienced inequity. Journal of personality and social psychology, 35(2), 108.

[6] Gallie, D. (2013). Direct participation and the quality of work. Human Relations, 66(4), 453-473.

[7] Green, F. (2004). Work intensification, discretion, and the decline in well-being at work. Eastern Economic Journal, 30(4), 615-625.

[8] Grille, A., & Kauffeld, S. (2015). Development and preliminary validation of the Shared Professional Leadership Inventory for Teams (SPLIT). Psychology, 6(01), 75.

[9] Grille, A., Kauffeld, S., Sauer, N., & Schulte, E. M. (2017). Führung teilen, Leistung ernten mit dem Online-Tool SPLIT. PERSONALquarterly, 69, 26-33.

[10] Knufinke, M. (2019, May 28). Handwerk 4.0: wichtiger Wandel im Handwerk: es lohnt sich aber. Retrieved January 3, 2020, from https://www.handwerker-bielefeld.com/was-ist-handwerk-4-0/.

[11] Lind, E. A., Kanfer, R., & Earley, P. C. (1990). Voice, control, and procedural justice: Instrumental and noninstrumental concerns in fairness judgments. Journal of Personality and Social psychology, 59(5), 952.

[12] Miller, K. I., & Monge, P. R. (1986). Participation, satisfaction, and productivity: A meta-analytic review. Academy of management Journal, 29(4), 727-753.

[13] Piecha, A., Wegge, J., Werth, L., & Richter, P. G. (2012). Geteilte Führung in Arbeitsgruppen–ein Modell für die Zukunft?. In Die Zukunft der Führung (pp. 557-572). Springer, Berlin, Heidelberg.

[14] Thibaut, J., and Walker, L. (1975). Procedural Justice: A Psychological Analysis, Lawrence Erlbaum Associates, Hillsdale, N J.

[15] Schulte, E.-M., Wittner, B., & Kauffeld, S. (2020). Ressourcen und Anforderungen (ReA) in der Arbeitswelt: Entwicklung und erste Validierung eines Fragebogens. Manuskript eingereicht zur Publikation.

[16] Small, E. E., & Rentsch, J. R. (2011). Shared leadership in teams. Journal of Personnel Psychology.

[17] West, M. A. (2012). Effective teamwork: Practical lessons from organizational research. John Wiley & Sons.